10 Fragen zur Kultur an Benny Neurohr
Stadtführer, Journalist und Vereinsfunktionär in Timisoara
Wenn Du die Seele eines Ortes erspüren möchtest und wissen willst, wo Kunst und Kultur, Architektur, Museen oder Festivals ihn Dir nahebringen, frage Einheimische. Menschen, die gern erzählen, wo ihre Stadt, ihre Region, ihre Landschaft unverwechselbar ist. azurgold hat sie für Dich gefunden: Kennerinnen und Kenner der Kulturszene mit den besten Tipps, hier für Timisoara, rumänische Kulturhauptstadt Europas 2023.

Warum lebst Du als Kulturschaffender in Timisora?
Benny Neurohr: Weil Timisoara den Kulturmix bietet, den ich zum Leben brauche. Es gibt Altes, es gibt Neues. Und weil ich in einer gemischten Familie geboren bin und deshalb zwischen mehreren Sprachen lebe, ist es für mich wichtig, dass es an meinem Wohnort ein entsprechendes kulturelles Angebot gibt. Dieser Rahmen erlaubt es mir, mich auch selbst so zu entfalten, wie ich es will.
Was macht Timisoara aus Deiner Sicht für Besucher:innen kulturell attraktiv?
Ein Soziologe hat Timisoara einmal als offene Stadt beschrieben, in der jeder willkommen ist. Und das spiegelt sich im Kulturangebot wider. Timisoara hat zum Beispiel eine rege Theaterszene. Zu den drei sehr guten Staatstheatern, die auf Rumänisch, Deutsch und Ungarisch spielen, gesellen sich einige sehr gute Amateurensembles. Die Öffnung dieser Bühnen ist beispielhaft. Nicht selten werden die Darbietungen auf Englisch und Rumänisch übertitelt, so dass man auch dann einen Theaterbesuch genießen kann, wenn die eigenen Sprachkenntnisse einen sonst nicht dazu befähigt hätten. Zusätzlich zur Theaterlandschaft gibt es noch eine unabhängige Kleinkunstszene, die immer für Überraschungen gut ist, sowie einige Galerien und Museen. Oper, Philharmoniker, sowie mehrere Musik-Festivals runden das Angebot ab.

Wie nutzt Timisoara sein Kulturpotential? Was ist das Besondere?
Das Besondere ist die Multikulturalität. Die gibt es zwar auch anderswo, aber hier hat sie auch den Rahmen, um ihr kulturelles Potential zu entfalten. Es gibt sehr viele Akteure in der Stadt, die das Kulturleben gestalten. Das bringt Vielfalt aber auch Synergien. Es gibt zum Beispiel ein Deutsches Kulturzentrum, ein Französisches Kulturzentrum und eine Österreich-Bibliothek. Es gibt die Tage der ungarischen Kultur, die von der ungarischen Minderheit ausgerichtet werden und das Heimattreffen der Deutschen aus dem Banat, ein Fest das alle zwei Jahre Menschen aus dem Banat sowie ehemalige Banater zusammenbringt.
Welche Kulturtipps möchtest Du unbedingt für Timisoara weitergeben? Welche Festivals schätzt Du besonders?
Drei Festivals würde ich Dir gerne ans Herz legen:
City Celebration Timisoara, das Fest der Stadt, das 2025 zwischen dem 1. und 3. August stattfindet.
Das internationale Folklore-Festival „Festival der Herzen“, das farbenfrohe Trachten und Volkstänze aus aller Welt zusammenbringt. Termin: erste Julihälfte 2025

Art Encounters, Biennale für moderne Kunst, die Künstler aus allen Teilen der Welt
zusammenbringt.
Hast Du einen Lieblingsort in Timisoara?
Ich habe ein Lieblingsviertel, mit dem ich auch persönlich verbunden bin. Es handelt sich um die Elisabethstadt, vor allem den älteren Teil, mit seinen kleinen Plätzen und Parks. Was den Namen des Viertels betrifft, Du hast es erraten! Das Viertel wurde nach der beliebten Kaiserin Sissi benannt.
Wenn Du ans Wasser möchtest, zu welchem Gewässer zieht es Dich?
Wasser ist in Timisoara nie weit. Die Bega teilt die Stadt in eine Nord- und eine Südhälfte. Nachdem die Schifffahrt in den 1960-ern eingestellt wurde, verkehren nun wieder Vaporettos und Vergnügungsschiffe auf dem Fluss. Wir wünschen uns aber mehr.

Wir wünschen uns, dass die Bega wieder die Verbindungsader wird, die sie schon mal war. Per Schiff bis nach Belgrad und weiterfahren können, das ist unser Traum. Bisher war das nur sporadisch möglich, weil es auf der Bega noch keinen festen Grenzübergang zu Serbien gibt. Südlich der Stadt fließt die Temesch (rumänisch Timis), übrigens der Fluss, der Timisoara den Namen gibt. Und an seinen Ufern gibt es einige schöne, fast noch geheime Strände, die an heißen Sommern zum Baden einladen.
Wohin gehst Du am liebsten, wenn Du Timisoara einmal hinter Dir lassen möchtest?
Auch ans Wasser. Genauer an die südliche Grenze des Banats, am Eisernen Tor der Donau. Die Fahrt entlang diesem Abschnitt der Donau allein ist schon extrem malerisch. Aber da gibt es noch Höhlen, alte Festungsmauern, eine Insel mit Wildpferden und atemberaubende Wanderwege.
Dein kulinarischer Tipp für ein Restaurant in Timisoara und Umgebung?
Timisoreana ist die älteste Brauerei aus Rumänien. Sie gibt es bereits seit 1718. Die Brauerei betreibt zwei Restaurants, eines davon direkt im Fabrikhof. Hier gibt es selbstverständlich gutes Bier sowie Leckeres vom Grill.
Das Restaurant Casa Bunicii gibt es gleich drei Mal in Timisoara und Umgebung. Eines der drei findest Du in der Innenstadt. Es bietet lokale und internationale Gerichte.
Im Restaurant Miorita in der Innenstadt findet man so ziemlich alles, was die rumänische Küche zu bieten hat.
Das gibt es nur in Timisoara …
Theater auf Deutsch gefällig? Oder lieber auf Rumänisch? Oder doch vielleicht auf Ungarisch? Das alles gibt es in Timisoara. Angeblich ist es die einzige Stadt Europas, die Theaterhäuser in drei verschiedenen Sprachen hat. Ob es tatsächlich stimmt, ist schwer zu sagen. Europa ist immerhin ein sehr bunter Flecken Erde. Aber bemerkenswert bunt ist die Theaterlandschaft in Timisoara schon.
Welche Frage möchtest Du gern noch beantworten?
Weshalb gibt es in Timisoara ein Museum namens Memorialul Revolutiei? Weil die Revolution von Dezember 1989, die der kommunistischen Diktatur in Rumänien ein Ende setzte, hier begonnen hat. Etwa 100 meiner Temeswarer Mitbürger haben den Traum von einem freien Leben mit dem Leben bezahlt. Es ist ein blutiges Kapitel rezenter Geschichte, das wir nicht vergessen wollen. Und das größte kollektive Aufbäumen, das ich je erlebt habe.
Benny Neurohr, wurde im Westen Rumäniens in einer deutsch-rumänisch-ungarischen Familie geboren. Seit 1983 lebt er in Timisoara, wo er als Stadtführer, Journalist und Vereinsfunktionär tätig ist. Für die Deutsche Sendung von Radio Timisoara nahm Benny die Reisetipp-Serien Entdecke.RO und Entdecke Temeswar auf. Benny ist Mitglied des Literaturkreises Stafette, unter dessen Dach er deutschsprachige Lyrik und Kurzprosa veröffentlicht. Als Hobby sammelt Benny Bilder mit dem Logo des Kaffeeunternehmens illy, die ihm von Reisenden zugeschickt werden. Weil Benny bei seinen Führungen oft scherzt, dass es ihn ohne die Illys nicht gegeben hätte – seine Großeltern lernten sich in der Tischlerei der Familie Illy in Timisoara kennen – schicken ihm Reisende oft Fotos von illy-Markenzeichen, die ihnen auf ihren Reisen quer durch die Welt begegnen.
Wer sich von Benny Neurohr durch Timisoara führen lassen möchte, kann ihn direkt kontaktieren und schon einmal Feedbacks zu seinen Führungen lesen.
Tiefer eintauchen
Noch mehr über Timisoara erfährst Du in meinem Beitrag „Architektur und Lebensfreude in Timisoara – rumänische Kulturhauptstadt Europas 2023“
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